Herrnneuses am Ende des Zweiten Weltkriegs

Ansichtskarte von Herrnneuses, 1938

Unterstützt von der Air Force waren die US-Truppen der 7. Armee im Frühjahr 1945 vom Rhein her nach Franken vorgedrungen. Nach der Einnahme von Würzburg (1.-5. April 1945) und Schweinfurt (6.-12. April 1945) setzte die 12. Panzerdivision ihren Vormarsch auf Nürnberg fort.1

Bereits im Februar und März 1945 wurden auch bei uns im Landkreis Angriffe auf Bahnanlagen geflogen. Ein Bombenabwurf galt einem Schnellzug auf der Strecke Nürnberg – Würzburg, zehn Bomben gingen im Häckerwald herunter.2 Vermutlich landeten einige davon auch westlich von Herrnneuses in einem kleinen Waldgebiet. Einige Bombenkrater sind heute noch zu sehen.

Während des Krieges hoben einige Familien mit Schaufel und Pickel Erdbunker aus. Man stützte die Wände mit Balken ab. Rundhölzer bildeten die Decke, die wieder mit Erde bedeckt wurde. 

Alte Fotos vom Veitsbronner Heimat- und Geschichtsverein zeigen, dass auch in Veitsbronn Anfang der 1940er Jahre Erdbunker gebaut wurden:

 

 

Die Alliierten versuchten durch den Abwurf von Flugblättern deutsche Soldaten zur Aufgabe zu bewegen und die Bevölkerung über die Geschehnisse an den Kriegsschauplätzen zu informieren. Auch über Herrnneuses wurde die sogenannte „Feindpropaganda“ abgeworfen. Der nationalsozialistische Lehrer Friedrich Fritsch beauftragte seine Schüler, diese Flugblätter schnellstens einzusammeln und bei ihm abzugeben – ohne sie vorher zu lesen. Der Schüler Johann Günther hielt sich nicht an das Gebot. Er erinnert sich heute noch genau an den Text eines dieser Flugblätter:

„Neustadt liegt im Loch, aber wir findens doch.
Würzburg, das verschonen wir,
nach dem Krieg da wohnen wir.“

 

Kurz vor dem 15. April 1945 kamen die Quartiermacher der SS ins Dorf. Sie schrieben mit Kreide Zeichen an manche Türen. Bevor sich die SS einquartieren konnte, waren glücklicherweise die Amerikaner da.

Am 15. April 1945 wurde Herrnneuses von der US-Armee besetzt.

Die Höhe zwischen Neustadt und Herrnneuses ist vom 2. Bataillon der 232. Infanterie-Division besetzt. In Unterschweinach steht amerikanische Artillerie bereit, Neustadt zu beschießen.

In Schellert waren deutsche Soldaten. Vier von ihnen bekamen den Befehl, nach Neustadt zu fahren. Der Kübelwagen der Soldaten wurde am nördlichen Dorfrand von der US-Armee beschossen. Zwei der Soldaten wurden getötet, zwei schwer verletzt. Die Verletzten wurden von amerikanischen Sanitätern geborgen. Die Toten blieben im Straßengraben liegen. Erst zwei Tage später wurden sie von einem Einwohner aus Schellert an der Kreuzung nach Herrnneuses (heute Kreisverkehr) beerdigt. Kurz nach dem Krieg wurden sie exhumiert und in ihre Heimatorte gebracht.

Auf den Wiesen zwischen Herrnneuses und dem Friedhof standen amerikanische Panzer und andere Militärfahrzeuge.

An der Kirche und an vielen anderen Gebäuden waren weiße Fahnen gehisst.

Vor dem Einmarsch suchte die Bevölkerung im Schlosskeller oder im Felsenkeller Schutz.

Im Dorf hielten sich neben den Einwohnern auch einige ausgebombte Familien aus Nürnberg und kurzzeitig auch einige Neustädter auf, unter ihnen der städtische Beamte Georg Linsenmeyer (Kreisamtsleiter der Nationalsozialistischen Volksfront) und Horst Erny, der spätere Bürgermeister von Neustadt.
Die amerikanischen Soldaten verlangten die sofortige Auslieferung etwa im Ort befindlicher deutscher Soldaten: bei Weigerung würde das Dorf vernichtet. Linsenmeyer sandte daraufhin Erny zum Bürgermeisteramt Neustadt mit der Meldung, es solle sofort alles Nötige zur Räumung der Stadt von allen Soldaten unternommen werden. Dem Bürgermeister gelang dies auch, und am nächsten Tag wurde Neustadt kampflos übergeben.3

Im „Eichwald“ zwischen Herrnneuses und Rennhofen hielt sich eine in Auflösung befindliche Einheit der deutschen Wehrmacht auf. Auf dem Weg nach Buchklingen befand sich eine Flak-Stellung.

Einige Kinder, unter ihnen der damals zehnjährige Johann Günther aus Herrnneuses, halfen, völlig arglos, den deutschen Soldaten, Munition zum Geschütz zu tragen. Johann bekam nach seiner Rückkehr ins Dorf eine Tracht Prügel von seinen Eltern und wurde in den Erdbunker, hinter der Scheune der Familie Günther, geschickt. Man kann sich vorstellen, welche Angst die Eltern um ihren Sohn hatten!

Vor dem Einmarsch flohen alle deutschen Soldaten aus dem „Eichwald“ nach Rennhofen. Dabei verminten sie den Weg von Herrnneuses nach Rennhofen. In Rennhofen angekommen, stellten sie die Fahrzeuge in der Scheune der Familie Kerschbaum unter, verschanzten sich hinter der Scheune der Familie Pröll und schossen von dort aus in Richtung Herrnneuses. Daraufhin wurde Rennhofen von den Amerikanern beschossen.

Die Bäume, die zwischen Herrnneuses und Rennhofen in der Schusslinie standen, wurden von Grantatsplittern getroffen. Noch immer finden sich in einigen Bäumen welche davon.

 

Das Bild zeigt den Wald und den Weg nach Rennhofen.

In Rennhofen wurden ein Wohnhaus, mehrere Scheunen und Nebengebäude nördlich der Dorfstraße zerstört. Dabei kamen Konrad Böhm (*20.8.1881) und Georg Zeilinger (*11.1.1913) ums Leben. Michael Kerschbaum (*15.3.1883) wurde so schwer verletzt, dass er noch auf dem Transport nach Emskirchen starb.

Nun flohen die deutschen Soldaten und Georg Michael Pröll (4.10.1899 – 1962) aus Rennhofen ging mit seiner Tochter Elise (*5.12.1936) an der Hand den Amerikanern mit einer weißen Fahne entgegen, um sie vor den Minen auf dem Weg zwischen Herrnneuses und Rennhofen zu warnen.
Beim Vorrücken der Amerikaner nach Rennhofen wurde eine Mähmaschine auf dem Gelände des heutigen Schützenhauses in Herrnneuses von einem Panzer überrollt. Vermutlich sind die Reste davon noch heute im Boden zu finden.

Durch ihren mutigen Einsatz haben Michael Pröll und seine Tochter Elise (verh. Hannweg) Rennhofen vor der völligen Zerstörung bewahrt und damit viele Menschen gerettet.

Michael Pröll
Foto: Heidi Pröll

Ob sich in Rennhofen bzw. in Emskirchen überhaupt noch jemand an den lebensgefährlichen Einsatz von Michael und Elise Pröll erinnern kann? Eine Ehrung der beiden gab es nicht.

Anders in Neustadt: Dort hatte Bürgermeister Leonhard Bankel (18.5.1883 – 10.7.1974) die Bevölkerung angewiesen, weiße Tücher an den Gebäuden anzubringen, und war den einrückenden amerikanischen Infanteristen in der Würzburger Straße entgegengelaufen, um die Stadt förmlich zu übergeben.4 Dafür bekam er später das Bundesverdienstkreuz und die Ehrenbürgerwürde der Stadt Neustadt, auch ein Platz wurde nach ihm benannt.5

Für die drei Toten vom 15. April 1945, wurde der neue Friedhof in Rennhofen angelegt.

Die amerikanischen Soldaten blieben etwa zehn Tage in Herrnneuses. Sie quartierten sich in den Häusern ein, die Besitzer mussten in den Scheunen übernachten.

Für die Kinder war diese Zeit ein Abenteuer, die „Amis“ verteilten Kaugummis und Schokolade, die weggeworfenen Zigarettenkippen konnte man tauschen oder verkaufen.

Aber es war auch sehr gefährlich. Überall auf den Wegen und Feldern lag Munition. Die achtjährige Elise Pröll aus Rennhofen hob eine Granate auf und wurde schwer verletzt, als die dabei explodierte.

Im Gegensatz zum Nachbarort Rennhofen hatten die Bewohner von Herrnneuses Glück. Das Dorf blieb verschont, niemand wurde getötet, verletzt oder verhaftet.

Eine Künstler-Familie aus Dortmund in Herrnneuses

Die Familie von Carl-Wilhelm Vogel (1907-1977), bekannter Maler, Bühnen- und Kostümbildner, wurde im Herbst 1943 nach Herrnneuses evakuiert.
Seine Frau Anne Marie Vogel, studierte Modedesignerin und Kostümbildnerin, kam zuerst mit ihren drei Kindern Antje, Peter und Heiner. Carl-Wilhelm Vogel kam im Herbst 1945 nach Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach. Im Frühjahr 1946 musste die Familie Herrnneuses wieder verlassen.

Die Tochter Antje Vogel (geb. 1939), Illustratorin und Autorin von Kinderbüchern, lebt heute in Münster. Im Juli 2020 wurden ihre Erinnerungen an Herrnneuses auf der Website „Münster Menschen, Geschichten und Erinnerungen“ veröffentlicht.

Heiner Vogel (1935-2023) hat seine Erinnerungen an Herrnneuses aufgeschrieben. Damit ermöglicht er uns einen umfassenden Blick auf das Dorfleben zwischen 1944 und 1946.

Weitere wichtige Ereignisse 1945:

16. April
Neustadt wird kampflos an die Amerikaner übergeben.
30. April
Adolf Hitler begeht in Berlin Selbstmord. Zwei Tage später wird Berlin von der Roten Armee eingenommen.
8. Mai
Bedingungslose Kapitulation Deutschlands und Ende des Nationalsozialismus.
5. Juni
Die Siegermächte unterteilen Deutschland in vier Besatzungszonen. Herrnneuses gehört zur amerikanischen Zone.
20. November
Vor einem alliierten Tribunal beginnen die sog. „Nürnberger Prozesse“ gegen NS-Haupttäter.

 

Quellen:

  1. MÜCK (2020), Seite 20.
  2. Ebd., Seite 12.
  3. Ebd., Seite 33.
  4. Ebd., Seite 30.
  5. Ebd., Seite 25.

Erinnerungen von Einwohner:innen aus Herrnneuses, Rennhofen und Schellert.