Das alte Schloss

Im Bauernkrieg (1525) wurden auf dem Schlossberg die Burg und im Tal die Kirche und das Pfarrhaus zerstört. Kirche und Pfarrhaus wurden nicht wieder aufgebaut.  Stattdessen bauten die Wichsensteiner, sie waren Anfang des 16. Jahrhunderts bis um 1560 Besitzer von Neuses, an dieser Stelle ein Schloss.1 Der Friedhof, der die Kirche umgeben hatte, wurde an seinen heutigen Ort verlegt.

Das von den Wichsensteinern erbaute Schloss war sicherlich nur ein kleines Schlösschen. Das Gelände war von Weihern umgeben2, deshalb wurde es auch als Wasserschloss bezeichnet. Zum Schloss gehörten zwei Wirtschaftshöfe und ein großer Park, der bis zum heutigen Pfarrhaus reichte. Siehe „Die Bebauung rund um die Kirche im Lauf der Jahrhunderte„.

1701 wurde im Schloss eine Dorfschule eingerichtet. Der Schulmeister wurde mit Naturalabgaben aus den zugehörigen Ortschaften und mit Holz aus den herrschaftlichen Wäldern bezahlt.3

Das Schloss war zur Zeit von Gräfin Franziska Barbara von Hohenlohe (1666-1718) noch gut erhalten. Während der Bauzeit der neuen Kirche St. Matthäus (Grundsteinlegung 1711) fand der Gottesdienst dort statt.

Johann Christian Wibel (1711-1772),  Verfasser einer historischen Beschreibung von Wilhermsdorf, schreibt:

„der Gottesdienst aber inzwischen in denen obern hierzu aptirten [angepassten] Gemächern des alten Schlößleins ist gehalten worden.“4

Sicherlich wurde das Schlösschen nicht von den Herrschaften aus Wilhermsdorf bewohnt, die waren Besseres gewohnt. Neben der Schule war vermutlich noch eine Schreibstube für den Sekretär aus Wilhermsdorf vorhanden.

1732 war das Schloss baufällig und wurde abgebrochen und als Schule und Wohnung für den Schulmeister neu errichtet. Leider ist nicht bekannt, ob das Schulhaus auf den Fundamenten des Schlosses in gleicher Größe oder unmittelbar daneben völlig neu aufgebaut wurde. Anzunehmen ist, dass die Steine des Schlosses wiederverwendet wurden.

Im Kirchenbuch von Pfarrer Albrecht Höpfner (1696-1746 in Herrnneuses) dazu:

„1732 wurde daß alte Schlößlein weilen der völlige Ruin zu besorgen war, abgetragen und vor dem Schulmeister zu einer Wohnung und Schul zugerichtet, größten Theils durch Herrschaft Kosten.“5

Die „Herrschaft“ zu dieser Zeit war Philipp Ernst von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst (1704-1759).

Das neue Schloss

1758 erbt Philipp Ferdinand von Limburg-Styrum (*31.8.1734 in Schillingsfürst, †10.9.1794 in Bartenstein),  Sohn von Caroline Juliane Sofie von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst (*1706, †1758) und Christian Otto von Limburg-Styrum (*1694, †1749), Wilhermsdorf (einschl. Neuses) von seiner Mutter. Caroline Juliane Sofie von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst war bereits die dritte Frau von Christian Otto von Limburg-Styrum. Philipp Ferdinand hat 7 Geschwister (3 sind früh verstorben) und 7 Halbgeschwister.23

Die von Limburg-Styrum waren von 1242 bis 1806 Reichsunmittelbare Grafen des Heiligen Römischen Reiches. Die Reichsherrschaft Styrum war mit knapp 120 km2 eines der kleinsten Territorien des Heiligen Römischen Reichs.

Philipp Ferdinands Leben in Wilhermsdorf ist inspiriert vom Hof in Versailles. Er hat sein eigenes Hoftheater, eine Musikkapelle und sogar eine eigene Husaren- und Jägergarde.6 Er ist ein bigotter Katholik und hat wenig politisches Urteilsvermögen. Deshalb ist er in den Kreisen des Adels eine unwichtige und suspekte Person. Sein wirtschaftliches Unvermögen und extravaganter Lebensstil bringen ihn zum Bankrott.

1762 ist Philipp Ferdinand in Paris.16

Aus Geldnot gründet er 1768 in Wilhermsdorf zwei Orden, obwohl er als Graf zu einer Ordensgründung nicht berechtigt ist: den „Ritterorden vom Alten Adel oder der Vier Römischen Kaiser“ und den „Orden von St. Philipp vom Löwen von Holstein“ für Nichtadelige. Für die Aufnahme in einen dieser Orden verlangt er hohe Eintrittspreise.

Er versucht, in Paris ein Regiment aufzustellen. Seine Offiziere bezahlt er mit der Aufnahme in seinen Orden.7 Er trägt seine Orden auch selbst, wie man auf seinem Portrait (s.u.) sehen kann.

1769 muss Philipp Ferdinand von Limburg-Styrum wegen seiner hohen Schulden seine Besitzungen in Franken verkaufen. Nur das Rittergut Neuses wird nicht verkauft. Noch im gleichen Jahr lässt er am nördlichen Rand des Schenkenwalds sogar ein neues Schloss errichten.8

Zu dieser Zeit war Wolfgang Konrad Scholl Baumeister bei Philipp Ferdinand von Limburg-Styrum. Er erlernte 1757 in Straßburg die Zivil- und Militärbaukunst. 1768 empfiehlt ihn Fürst Karl Albrecht in Schillingsfürst an den Baron von Ulm in Ellingen, nachdem ihn Scholl mündlich darum gebeten hatte. In diesem  Empfehlungsschreiben heißt es:

„Gleichwie nun derselbe zu Erlernung der Baukunst sich von Jugend auf applicieret und verschiedene Reisen nacher Paris und Wien getan, ich auch aus eigener Erfahrung von dessen Geschicklichkeit vollkommen überzeuget bin, nicht minder er schon wirklich als Baumeister bei unseres Herrn Neven Grafen von Styrum Lbdn. stehet und verschiedene beträchtliche Gebäude aufgeführet…“25

Es ist zu vermuten, dass Scholl auch die Pläne für das Schloss in Neuses entworfen hat.

Die Lage des Schlosses ist in einem Dokument von 1796 beschrieben:

„9 Tagwerk, worauf das Schloß stehet, stößt gegen Morgen [Osten] und Mittag [Süden] an Schenken Wald, gegen Abend [Westen] an Frauen Weyer, Mitternacht [Norden] an Gemeind Waaßen …“9

Auf dem Plan vom Schenkenwald, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand, ist dieses Schloss entsprechend dieser Lagebeschreibung eingezeichnet.10

Die Lage des neuen Schlosses auf einer aktuellen Karte (Geoportal Bayern).
Sicher kommt die noch heute gebräuchliche Bezeichnung „Schlossberg“ von der Lage dieses Schlosses.

Mit einem Klick auf die Karte kannst du dir die heutige Lage auf Google My Maps ansehen.

Das Schloss stand auf einer Grundstücksgrenze, die noch heute vorhanden ist. Westlich war die gemeinsame Viehweide der Ortsbewohner (Gemeinde-Hut), östlich der Schlossgarten. Vermutlich konnte man im 18. Jahrhundert über das Dorf bis zum Häckerwald schauen.

Wie das neue Schloss aussah, wissen wir nicht. Vielleicht hatte es Ähnlichkeit mit dem Jagdschlösschen aus Eyerlohe von 1778 (Bild), heute im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim.
Ende des 18. Jahrhunderts wurden solche barocken Landschlösschen („maison des plaisance“ wird ins Deutsche oft mit „Lustschloss“ übersetzt) schnell und „billig“ errichtet. Meist war nur das Fundament aus Sandstein, die Wände waren aus verputztem Backstein oder Fachwerk. Mehr Wert wurde auf die repräsentative Anordnung und Ausstattung der Innenräume gelegt. Am Schloss in Neuses gab es vermutlich keine Stallungen und Unterkünfte für Bedienstete. Die Pferde und Kutschen wurden wohl in den Stallungen der Bauern untergebracht und mussten bei Bedarf erst herbeigeholt werden. In den Erläuterungen zum Plan vom Schenkenwald wird im neuen Schloss aber eine Kapelle erwähnt.

Philipp Ferdinands Misswirtschaft führt 1769 zu einem Konkursverfahren und zur Zwangsverwaltung. Der Fürst Joseph Adam Johann Nepomuk zu Schwarzenberg (1722-1782) wird als Konkursverwalter eingesetzt. Durch die angehäuften Schulden kommt Philipp Ferdinand 1770 für einige Zeit in kaiserlichen (Haus-)Arrest.11

Am 28. März 1772 fertigt Johann Christoph Schneider im Schloss zu Neuses eine Abschrift einer alten schadhaft gewordenen Akte an. Er unterschreibt mit Joannes Christophorus Schneider, Imper. Autorit. Notarius publicus et juratus“.12

Johann Christoph Schneider (†1786) war „hochgräflich Limburg-Styrumscher Cammer-Sekretär zu Neuses“. Sein Sohn Johann Ludwig war von 1765-1794 Pfarrer in Neuses.

Philipp Ferdinand lernt 1773 in Frankfurt eine junge Frau kennen, die als Hochstaplerin in ganz Europa unterwegs ist und zuletzt als „Fürstin Tarakanowa“ (* um 1750, †1775) weltberühmt wird. In dem sie behauptet, Tochter der Kaiserin Elisabeth I. von Russland und Enkelin von Zar Peter dem Großen zu sein, bestreitet sie die Rechtmäßigkeit der Herrschaft Katharina II. der Großen und erhebt selbst Anspruch auf den russischen Thron.

Sie benutzte viele verschiedene (Falsch-)Namen und ließ sich von Gönnern und Liebhabern aushalten. Die Frau umgarnt Philipp Ferdinand in wenigen Tagen vollständig, so dass er Kredite aufnimmt, um ihre Schulden zu bezahlen.

Im Sommer 1773 verbringt das Paar einige Wochen im Schloss Neuses 17, 18 und hält hier mit großem Aufwand Hof. Mit dabei ist mehrmals auch der mit Philipp Ferdinand befreundete Staatsminister des Kurfürstentums Trier, Franz Eustach von Hornstein.

Im April 1774 sind die beiden wieder gemeinsam in Neuses.19, 20
Philipp Ferdinand will die „Tarakanowa“ sogar heiraten und verschuldet sich deshalb immer mehr.

 

Philipp Ferdinand von Limburg-Styrum und die „Fürstin Tarakanowa“21

© 2008 UBS AG Basel 

Die „Tarakanowa“ verlegt ihre Hochstapelei danach endgültig auf die große internationale Politik. Sie versucht, von einem möglichen Sieg der Türken im bereits seit Jahren laufenden Krieg gegen Russland zu profitieren. Außerdem lässt sie sich von polnischen Adligen im Exil, die den Einfluss der russischen Kaiserin auf Polen beenden wollen, zur Bekräftigung ihres Anspruchs auf den russischen Thron anstacheln. Dafür reist sie durch Europa. Den Geldmangel bekämpft jetzt auch sie durch Handel mit den Orden Philipp Ferdinands.

Katharina II. die Große lässt die „Tarakanowa“ schließlich von Admiral Alexei Orlow aus Italien nach St. Petersburg entführen. Hier wird sie in der Peter-und-Paul-Festung eingekerkert. Über Ihren Tod gibt es mehrere Erzählungen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie am 4. Dezember 1775 (vermutlich an Tuberkulose) stirbt.13
Es gibt auch das Gerücht, dass sie bei einer Überschwemmung der Peter-und-Paul-Festung ertrinkt. Das zeigt der Maler Konstantin Flawizki 1864 in seinem Gemälde ihrer letzten Lebensminuten. Ein anderes Gerücht besagt, dass sie Nonne werden musste und erst 1810 mit dem Namen Dosiphea im Johannes-der-Täufer-Kloster in Moskau gestorben ist.

Tod der Fürstin Tarakanowa, Gemälde von Konstantin Flawizki

Lichtspiele Neustadt an der Aisch Terakanovwa (Die falsche Zarentochter), 29.7.1932

 Neustädter Anzeigeblatt vom 29. Juli 1932

 Die Geschichte der „Tarakanowa“ ist auch Inhalt einiger internationaler Spielfilme, u.a. Tarakanowa (Die falsche Zarentochter; Frankreich/Italien 1930) und The Shadow of the Eagle (Graf Orlows gefährliche Liebe; Hollywood 1950),14 einer Oper und mehrerer literarischer Werke.

Um 1775 hat Philipp Ferdinand eine Beziehung zu Marie Thérèse Satori. Sie ist „Directrice de l`Academie de Musique“ (Musik-Leiterin) am Hofstaat von Philipp Ferdinand in Wilhermsdorf. Ihr Ehemann ist dort Konzertmeister.6 Aus dieser Verbindung gehen ein Sohn und eine Tochter hervor. 24 

Am 10. September 1794 stirbt Philipp Ferdinand von Limburg-Styrum hoch verschuldet bei seiner Schwester Josefa Friederike Polyxena Alexandrina zu Hohenlohe-Bartenstein in Bartenstein (Stadt Schrozberg). Er wird in der Gruft der Schlosskirche beigesetzt.

Sein Bruder Ernst Maria von Limburg-Styrum (*1736, †1809) übernimmt die Herrschaft von Limburg-Styrum – und damit auch Neuses.

Am 8. August 1796 wird das „Gräflich Limburg-Styrumische Lehensgut zu Herrnneuses“ für 30.000 Gulden verkauft und in das Fürstentum Bayreuth unter König Friedrich Wilhelm II. von Preußen eingegliedert.

1810 wird Herrnneuses bayrisch.

1812 wird das Schloss der ehemaligen Herrschaft von Limburg-Styrum, unter König Maximilian I. Joseph von Bayern, abgebrochen.15 Auf einer Karte von 1844 ist die Ruine „Styrum“ eingezeichnet.

Oberirdisch sind vom neuen Schloss heute keine Spuren mehr vorhanden.
Bei den Flurstücken, auf denen das Schloss stand, steht in der heutigen Bodenschätzung der Hinweis „künstliche veränderte Böden“. Laut Amt für ländliche Entwicklung könnte das auf ein Bodendenkmal hinweisen.
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren angeblich Steine vorhanden, die von den Dorfbewohnern wieder verwendet wurden. 

Topographischer Atlas, Blatt 33 Windsheim, 1844 (Ausschnitt)22

 

Quellen:

  1. WIBEL (1742), Seite 147.
  2. SEUFFERLEIN.
  3. MÜCK (2013), Seite 21.
  4. WIBEL (1742), Seite 150.
  5. MÜCK (2013), Seite 47.
  6. BUNDSCHUH (1792), Seite 514 ff.
  7. WREDE (2012), Seite 231 ff.
  8. StAB (1796c).
  9. StAB (1796b).
  10. BayHStA (2022).
  11. MOSER (1775), Seite 100 ff. (Scan 1016).
  12. StAB (1796a).
  13. BREVERN (1867), Seiten VII, 120.
  14. In diesem Film wird die Tarakanowa als echte Prinzessin dargestellt und am Ende von Admiral Orlow gerettet.
  15. LOHBAUER (1895), Seite 158.
  16. HZAN (1762).
  17. BREVERN (1867), Seite 14.
  18. ŁUNIŃSKI (1907), Seite 70, 75.
  19. BREVERN (1867), Seite 37.
  20. ŁUNIŃSKI (1907), Seite 79.
  21. AUTENGRUBER/TAMMANN (2008), Seite 196 f.
  22. SOMMER (1844)
  23. BIEDERMANN (1745), TABULA CLXIII (Scan 176).
  24. GENEANET.
  25. HZAN (1768).